Hinter dem Zitat (Teil 1)
von Clemens Böge
Schlaue Sprüche intelligenter Menschen sind ein beliebtes Stilmittel auch und gerade in der Beratung. Und so schmücken sich zahlreiche Websites und Folder, Präsentationen und Vorträge mit prägnanten Aussagen der jeweils passenden Vordenker, auf dass ein wenig vom Ruhm der Zitierten auf sie abstrahlen möge. Dabei wird so manch kluger Gedanke leicht verdreht oder stark verkürzt oder fristet in endlosen Online-Sammlungen sein tristes, friedhofsartiges Dasein.
Dieser Form der Zitiererei begegnet die Beraterei nun mit der (vielleicht ja bald) Serie „Hinter dem Zitat“, in der schlaue Sprüche plus ein wenig Hintergrund plus eigene Gedanken angeboten werden. Den Anfang macht der allseits geschätzte Philosoph Epiktet, von dem die folgenden Worte überliefert sind:
„Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge.“
Der Satz stammt aus dem von Epiktets Schüler Arrian verfassten „Handbüchlein der Moral“, einer Art Kurzfassung der wesentlichen Gedanken der Epiktet’schen Philosophie. Und so geht es dort weiter: „(…) Wenn wir also auf Hindernisse stoßen, beunruhigt und gekränkt werden, wollen wir die Schuld nie bei einem anderen suchen, sondern nur uns selbst geben, das heißt unseren Meinungen und Urteilen.“ Nur mit einer solchen Haltung, so die grundlegende Idee des Stoikers Epiktet, kann der Mensch Autonomie gegenüber der Außenwelt und damit innere Ruhe und Zufriedenheit erlangen.
Für mich bringt dieses Zitat ein paar wichtige Aspekte von systemischer Beratung auf den Punkt. Zum einen verweist es auf die Kraft der mentalen Modelle, also unserer individuellen Annahmen von der Welt, die zumeist auf Erfahrungen basieren und unser Verhalten maßgeblich beeinflussen. Wenn wir uns eine Haltung aneignen wollen, wie Epiktet sie uns empfiehlt, müssen wir uns dieser mentalen Modelle zunächst einmal bewusst sein – ein Prozess, bei dem Coaching eine Rolle spielen kann. Schließlich beschreibt das Zitat eine grundsätzlich hilfreiche Haltung, wenn es darum geht, im Coaching Lösungen zu finden: Indem das Verhalten anderer Personen als Restriktion anerkannt wird, kann die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, wie man selbst anders mit der Situation umgehen kann.