Experten sind auch nur Menschen
von Clemens Böge
„Social Skills – Erfolgsfaktor in ExpertInnenorganisationen“. Unter diesem Titel fand am 26.01.2012 eine von der Personalentwicklung der Medizinischen Universität Wien organisierte Tagung statt. Ich hatte das Vergnügen, dabei zu sein – hier ein paar Eindrücke und Gedanken dazu.
Was versteht man üblicherweise unter einer Expertenorganisation*? In einer Expertenorganisation oder „professional bureaucracy“ (Henry Mintzberg) dominiert i.d.R. der betriebliche Kern (der Ort der Leistungserstellung) das Geschehen und nicht die strategische Spitze: Wie die Krebstherapie zu erfolgen hat, bestimmen der Arzt bzw. die medizinischen Standards und nicht die Geschäftsführung der Klinik. Entsprechend hat der einzelne Mitarbeiter als Experte eine relativ starke Stellung und arbeitet sehr autonom. Auch identifiziert er sich oft weniger mit der Organisation, in der erarbeitet, als mit der der Profession, der er angehört. Klassische Beispiele für solche Organisationen sind Krankenhäuser, Universitäten und Schulen.
Die eingeladenen Referenten der Tagung beleuchteten diese spezielle Form der Organisation nun aus verschiedenen Perspektiven: Veränderung, Konflikte, Diversity Management, Emotionen und Frauen in Führungspositionen waren die Themen der Vorträge. Die Kernthesen lassen sich aus meiner Sicht wie folgt zusammen fassen:
- Veränderungsprozesse in Organisationen stellen besondere Herausforderungen an die Führungskräfte.
- Dazu beitragen kann die Überwindung von Vermeidungsstrategien und die Entwicklung einer Konfliktkultur.
- Vielfalt sollte dabei als Bereicherung verstanden werden, Selbstreflexion ist der erste Schritt auf dem Weg dahin.
- Emotionen werden oft tabuisiert, sind jedoch ein wichtiges Element in organisationalen Beziehungen.
- Frauen führen nicht grundsätzlich anders oder gar besser als Männer. Viel wichtiger ist die Frage, welche Elemente von Führung generell hilfreich sind.
So weit, so nachvollziehbar. Wenig dabei, dem man sich nicht größtenteils anschließen könnte. Wenig allerdings auch, das nicht auch für andere Formen von Organisationen ebenso gültig wäre. Hinter dem Tagungstitel steht für mich aber die Hypothese, dass Social Skills in Expertenorganisationen irgendwie eine besondere Rolle spielen. Sei es, dass sie hier besonders wichtig sind, besonders oft fehlen, weniger gewürdigt werden oder was auch immer. Dies würde zumindest zu dem gängigen Vorurteil passen, Expertenorganisationen hätten spezifische Defizite z.B. im Bereich der Führung. Experten kümmern sich demzufolge vor allem um ihr Fachgebiet und nur ungern um die Gestaltung der organisationalen Rahmenbedingungen. Der größte und renommierteste Experte wird dann Chefarzt, wie es mit seinen Fähigkeiten als Führungskraft aussieht (und welche Rolle die Soft Skills dabei spielen), steht auf einem anderen Blatt.
Wenn diese Annahmen nach wie vor und zumindest in Teilen gültig sind, wurden sicher wichtige Aspekte des Tagungsthemas nicht behandelt. Was allerdings nachvollziehbar ist, denn solche schwierigen Themen in der Öffentlichkeit zu diskutieren, noch dazu in Anwesenheit von internen und sonstigen (PE-)Experten, ist sicher schwierig und bietet erhebliches Konfliktpotential.
Vielleicht ist aber auch der Unterschied zwischen Expertenorganisationen und solchen, die es nicht sind, geringer als ich dachte und o.g. Annahmen nicht mehr zeitgemäß. „Hard facts are easy – soft facts are hard.“ soll Steve de Shazer mal gesagt haben. Stimmt für Experten sicher genau so, wie für alle andere Menschen in Organisationen.
* Ich verzichte zugunsten der Lesbarkeit auf die weibliche Form.